Brigitte Baldauf

Nina Schulze, Museum Schloß Moyland

Rede zur Ausstellungseröffnung "Makulatur" in der Pförtnerloge, Fabrik Heeder, Krefeld, 2018 (Auszug)

 

(...) Wenn Sie Krefelder oder treuer Besucher der Reihe Pförtnerloge in der Fabrik Heeder sind, wissen Sie wahrscheinlich, dass wir uns in einer ehemaligen Tapetenfabrik befinden. (...) Heute ist dieser Raum ein Ort der Kunst. Brigitte Baldauf hat ihn zu ihrer Installation „Makulatur“ umgestaltet. „Makulatur“, früher die Untertapete, die noch keine Tapete war, ist heute ein Synonym für etwas, das nicht ist, was es zu sein scheint. Und unter diesem Motto nimmt sich Brigitte Baldauf diesem Raum an.

Sie verfüllt alle Fenster bis auf das rückwärtige - mit Packpapier. Sie kreiert einen völlig neuen Raumeindruck mit diesem Eingriff und ganz bewusst zwei völlig unterschiedliche Gesichter des Ortes: Von der Straße aus betrachtet erscheint die gesamte Pförtnerloge wie dicht mit Packpapier ausgestopft. Die weißen Fensterkreuze heben sich deutlich vor dem Braun des in die Laibungen geknautschten Papiers ab, kein Lichtstrahl dringt an den Papierknäuel vorbei. Innen jedoch – ein „white cube“. Die Überraschung könnte größer nicht sein, insbesondere da die raumbestimmende dreiachsige Fenstergliederung vollständig in einer weißen Wand verschwindet. Dieses Kunstwerk, diese Installation, täuscht also unsere Erwartungen an die Räumlichkeit. Und mehr noch: Sie verwandelt die Pförtnerloge in einen hermetischen Raum, der sich den Einblicken weitestgehend entzieht, und sein Inneres nur noch von einer Position aus zeigt, nämlich durch das rückwärtige große Fenster.

 

Was erwartet uns im Inneren?

Das Herzstück der Installation sind acht Gemälde aus den letzten fünf Jahren. Sie stammen aus den beiden Serien „Waste“ und „Blister“. Wir sehen auf ihnen nüchternes, braunes Packpapier, ein Abfallprodukt, geknautscht und geknittert als Füllmaterial, allerdings gemalt: Papierschleifen zu bizarren Körpern geformt, Papier in Hohlräumen und Pappe in artifiziellen, ja skulpturalen Formen. Wir sehen Gemälde, die hochgradig stilisiert das zeigen, was übrig bleibt. Wir sehen Abseitiges, Nichtiges in höchster malerischer Perfektion auf der Leinwand inszeniert. Diese Gemälde sind in ihrer Manier Schönheiten, Preziosen.

Typisch für das Schaffen von Brigitte Baldauf ist die Tatsache, dass diese Sujets wie Entnahmen aus der Alltagswelt wirken, eine Strategie, der sich schon Marcel Duchamp bei seinen Objets Trouvés bediente. Auch Erinnerungen an Reiner Ruthenbecks Haufen aus weißem und schwarzem Papier streifen die Gedanken.

Die Dreidimensionalität dieser Gemälde ist frappierend und wird in den Arbeiten mit dem Titel „Blister“ noch einmal durch die ovale Form des Bildträgers verstärkt. „Blister“ ist das Englische Wort für Bläschen oder Blase. Es wird im Deutschen als Lehnwort für kleine Verpackungseinheiten aus Kunststoff verwendet, z.B. solche, die man als Tablettenverpackung kennt. Geleerte und zerdrückte Blister hat Brigitte Baldauf in extremer Vergrößerung gemalt, mit metallischem Glanz.

 

Dass dabei Abseitiges wie Verpackungsmaterial zum Bildthema wird, finde ich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Die bildhauerische Qualität im Beiwerk zu erkennen und zum Bildthema zu machen ist das eine. Aber in Zeiten des unbegrenzten Konsums, der ja auch ein Konsum von Bildwelten ist, in Zeiten in denen alles gefiltert, gelayert und gehübscht ist, das Einheitsbraun, das Sinnentleerte und Zufällige zu feiern, ist nochmal etwas anderes. Ich finde, dass diese Installation auch so etwas bedient wie die Sehnsucht nach dem Hinsehen, nach dem Innehalten und Wertschätzen. Diese Kunst kann ein Mittel sein uns aufzuhalten, damit wir unsere Wahrnehmung schärfen und Dinge in den Blick nehmen, über die wir ansonsten achtlos hinweggegangen wären.

 

 

Dr. Heribert Brinkmann

Rede zur Ausstellungseröffnung "Nah am Wasser" in der IHK Krefeld, 2017 (Auszug)

 

Diese Woche lag eine Einladung des Museums Kunstpalast aus Düsseldorf in der Post. Als ich den Brief öffnete, hatte ich ein Déjà-Vu-Erlebnis: Das in Grün getauchte Bild entpuppte sich als ein Teich mit Schilf am Ufer, in dem sich Baumstämme spiegeln. Noch eine Ausstellung von Brigitte Baldauf, war mein erster Gedanke. Nein, es handelt sich um die Ankündigung einer Ausstellung mit Werken von Axel Hütte. Also ein Schüler der berühmten Fotoklasse von Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf. Der heute 66-Jährige gehört zu den wichtigsten Vertretern der Düsseldorfer Fotoschule und ist besonders durch seine Landschaftsfotografie bekannt geworden. Auch Hütte arbeitet gern mit Wasserspiegelungen, er hinterfragt unsere Wahrnehmung. Was ist Bild, Abbild und Realität?

 

Ich will aber keine Werbung für eine andere Ausstellung machen.  Doch die Frage nach Bild, Wirklichkeit und Vorstellung ist auch das zentrale Thema diese Ausstellung. Und vielleicht hatten auch Sie ein Déjà Vu, weil die Krefelder Künstlerin Brigitte Baldauf in Ihrer IHK-Zeitschrift vorgestellt wurde. Und da stellte sie bereits 2010 sich die Frage: „Was verstehe ich wirklich? Was nehme ich wie wahr?“ Baldauf reflektiert mit ihrer Malerei über Wirklichkeit, Wahrheit und Erkenntnis.

 

Was nehmen wir wahr? Auf den ersten Blick sehen wir Ausschnitte von Landschaften. Keine weiten offenen Ebenen, sondern nahe Uferzonen an Gewässern. Es handelt sich meistens um stehende Gewässer, auf deren Oberflächen sich der Himmel und die Bäume spiegeln. Wasser fasziniert die Künstlerin, aber es ist nicht der Aspekt Natur, den sie auf Leinwand bannen möchte, eher der malerische Prozess, Wirklichkeit abzubilden, aber nicht vordergründig, sondern nicht sofort erkennbar, einordbar – geheimnisvoll eben. In ihrer langen künstlerischen Biografie gab es auch abstrakte Phasen, in denen es um Flächen, das Durchscheinen anderer Farben, um Volumen in der Fläche ging. Seit zehn Jahren malt Brigitte Baldauf mit Ölfarben, was ein langsameres Malen verlangt. Im Grund genommen ist ein Ausschnitt der Oberfläche eines Teiches wie eine abstrakte Malerei. Die Wirklichkeit verfällt in Farben und Flächen.

 

Brigitte Baldauf ist fasziniert von Tümpeln und Teichen, weil bei einem stehenden Wasser vieles zusammenkommt: Die Oberfläche spiegelt die Umgebung, Licht und Schatten wirken sich unterschiedlich auf die Fläche auf. Im Schatten gewinnt das Wasser Tiefe, man kann auf den Grund blicken oder das Wasser erscheint undurchdringlich. Fläche und Tiefe – was für eine malerische Herausforderung. Einmal noch darf ich auf Axel Hütte zurückkommen. Er fängt Langsamkeit ein, er fotografiert seine Landschaften mit Vorliebe mit der Plattenkamera. Aber seine Bilder bleiben Fotografien. Brigitte Baldauf nutzt die Fotografie, um einen kurzen Moment festzuhalten. Vor Ort zu malen, hätte für sie keinen Sinn, weil sich die Szenerie schnell verändert, das Licht, die Wolken, der Schatten. Das bekommt man nicht so schnell gemalt. Das Foto, entstanden am Niederrhein, im Garten eines Altenheims in Hannover und im Botanischen Garten von Padua, ist bloß eine Vorlage, die später einmal im Atelier lang-sam in vier bis fünf Schichten mit Ölfarben und feinen 2er-Pinseln filigran auf die Leinwand übersetzt wird. Gerade war die Künstlerin für ein paar Tage in Finnland. Da gebe es ganz viele Tümpel – und Birken, gab sie mit Schalk in den Augen zu Protokoll. Vielleicht werden sie in ihrer nächsten Ausstellung neue Bilder mit Wasser und weißen Birkenstämmen finden. Aber es ist nicht wichtig, wo das Bild entstanden ist oder was es darstellt. Man muss es nicht lokalisieren, um es zu begreifen. Brigitte Baldauf zitiert gerne den portugiesischen Dichter Fernando Pessoa, der in „Das Buch der Unruhe“ diesen Satz notiert hat: „Was wir sehen, ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind.“

 

(...) Die Künstlerin studierte in den 1980er-Jahren an der Kunstakademie in Münster bei Fujio Akai und Prof. Udo Scheel. Wenn man sich mit ihr im Atelier unterhält, kommt sie ganz schnell auf Gerhard Richter zu sprechen. Sie zitiert einen Satz von ihm, in dem sie sich wiederfindet: „Wenn ich genauer male, erkenne ich dann auch mehr?“ Auch Richter hat mit Bildern nach Fotografien angefangen. Er malte auch gegen Marcel Duchamp an, den Übervater der Avantgarde, der 1912 das Ende der Malerei verkündete, selber aufhörte zu malen und das Ready Made erfand, das heißt vorgefundene Alltagsgegenstände zu Kunstwerken erklärte. Duchamp lehnte eine Malerei ab, die Effekte für das Auge schafft. Ihm ging es um Vorstellungen von Bedeutung, eine Konzept Kunst, wie sie sich später herausbildete. Und da kam Richter in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts und schuf Bilder, die malerisch, schön und manchmal auch sentimental sein sollten. Gerhard Richter hat in seiner Malerei zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit gewechselt. In einer Filminterview spricht Richter die Sinnhaftigkeit oder Absurdität der Malerei im Zeitalter der Neuen Medien an. Und auch Brigitte Baldauf nutzt das Spiel von Fotografie und Malerei für ihre Kunst. In Zeiten der millionenfachen Selfies und Schnappschüsse mit dem Smartphone nimmt sie Fotos als Grundlage einer ausgeklügelten, raffinierten Malerei, die Licht und Schatten meisterhaft setzt. Ein Gemälde ist ein Akt hoher Anstrengung und Verausgabung. Eine erste Vorzeichnung erfolgt mit Kohle. Beim Malen ist man ganz nah dran, das Motiv aber nicht greifbar. Jeder cm ist bedacht, aber der Zusammenhang wird erst im Schritt zurück erfahrbar. Nach drei bis fünf Stunden im Atelier, ist die Künstlerin körperlich fertig. Beim Malen erfährt sie das Gefühl von Materialität. Das gemalte Bild hat für Brigitte Baldauf eine größere Qualität als die Reproduktion durch Fotografie. Es ist eine andere Aneignung von Realität, allein schon durch den zeitlichen Verlauf.

 

Vielleicht wird ihre Intention deutlicher in den Papier-Bildern oben. Das braune Verpackungspapier ist ein Zufallsfund. Es war in einem Paket als Schutz gegen Stöße enthalten. Wie es da aus dem Karton hervorquoll, erhielt es eigene Qualität, ein malerisches Sujet, das man mit viel Delikatesse bannen muss. Aus bloßer Verpackung wird ein eigenständiges Objekt, ein dreidimensionales in der Fläche. Hinzu kommt das Spiel mit der Bedeutung. Eigentlich nur Abfall, wird das zerknüllte Papier zum Inhalt eines Kunstwerkes erhöht. (...)

 

 

 

Nina Schulze, Museum Schloss Moyland

Rede zur Ausstellungseröffnung "Second Nature" in der Städtischen Galerie Wesel, 2015 (Auszug)

 

(...) Während in der Fotografie jeder Blickpunkt von der Kamera gleichzeitig aufgenommen wird, ist die Malerei ein Prozess in der Zeit.

Malerei ist die Abbildung von geronnener Zeit, die der Maler vor dem Bild und mit dem Bild verbringt. Sie ist im Bild immanent. Und dieses Faktum ist es, was den Bildern von Brigitte Baldauf ihre Vielschichtigkeit und  Rätselhaftigkeit  verleiht. 

Sie stellt mit jedem Pinselstrich das „Es-ist-so-gewesen“ (Roland Barthes) der Fotografie infrage und spürt dieser Realität nach und durchdringt sie. 

Das Ergebnis sind malerisch komplexe Bilder, die eine Einladung an den Betrachter darstellen, aber immer auch eine Herausforderung.

 

 

Valentina Vlasic, Museum Kurhaus Kleve

Rede zur Ausstellungseröffnung "nah am Wasser" im Kunstverein Emmerich, 2014 (Auszug)

 

 Im „Haus im Park“ sind knapp 30 Gemälde von Brigitte Baldauf zu sehen, alle in Öl auf Leinwand hergestellt. Der Titel ihrer Ausstellung lautet „nah am Wasser“. Damit sind weder spezifische Ortschaften noch Personen gemeint, die „nah am Wasser gebaut sind“. Der Ausstellungsname bezieht sich vielmehr auf einen Naturbegriff, den Brigitte Baldauf in all ihren Bildern praktiziert. Nicht Mensch oder Sache, die Natur spielt die vordergründige Rolle in ihrer Arbeit. Auf nahezu jedem Gemälde (bis auf eine Ausnahme) sind Wasser und Wasseroberflächen zu entdecken. Und damit bewegt sie sich in der Tradition großer Vorgänger (man denke beispielsweise an „Ophelia“ von John Everett Millais, 1851-52).  (...)

Wer bei ihr nun großzügige Panoramalandschaften im Stil früherer Jahrhunderte erwartet, wird zunächst enttäuscht, dann aber schnell durch unkonventionelle Sehstrukturen belohnt. Ihre Bilder besitzen eine eigensinnige Bildsprache, die gut und schnell wieder erkennbar ist. In jedem Bild sind subjektive Ausschnitte zu finden – wenn zum Beispiel Teile einer Libelle zu sehen sind, die sich im Todeskampf mit Molchen befindet. Da ihre Komposition einfach nur „schön“ ist und dem Auge schmeichelt, stört uns diese Tatsache im Augenblick des Betrachtens nicht sonderlich. Auf solch raffinierte Weise führt uns Baldauf ihre eigene Realität vor Augen. Diese subjektiven Ausschnitte sind die Stärke der Künstlerin.

(...) Brigitte Baldauf zeigt uns ein in bestimmte Proportionsverhältnisse gebrachtes Stück einer Welt. Um alle Details ihrer Bilder wahrnehmen zu können, müssen diese aus kurzer Distanz erfahren werden. Ihre Motive entnimmt sie dem Naheliegenden und Vertrauten und verschiebt sie in das Unvertraute und Fremde. Sie vermischt Realitäten, dann, wenn sie zum Beispiel den „Cut-out“ eines Guantanamo-Häftlings, der auf einem Bett liegt und in Decken gehüllt ist, zeigt, den sie – um ihn zu befreien – kurzum in die Natur verpflanzt. Über ihm, bedrohlich rot, wie eine Isolierkapsel, eine Wärmelampe.

Ihre Bilder sind grundsätzlich gegenständlich, können zuweilen aber auch in der Abstraktion münden – nämlich dann, wenn man nicht mehr weiß, wo ein Motiv anfängt und aufhört. Zahlreiche Gemälde, die ein malerisches „Allover“ bilden, liegen an der Schnittstelle zwischen Verismus und Abstraktion. Der Betrachter weiß, dass es außerhalb des Bildrandes eine Fortsetzung gibt. Er sieht jedoch nur den Ausschnitt, der ihm gleichermaßen fremd als auch vertraut ist, der ihm schmeichelt, zu dem aber immer eine unüberbrückbare Distanz bleibt. Dadurch erreicht Baldauf, dass Szenerien, die augenscheinlich aus unserer näheren Umgebung stammen (wie zum Beispiel der Museumsinsel Hombroich), plötzlich unbekannt, sonderbar bedrohlich und mitunter dschungelartig wirken.

Daran Anteil hat auch die besondere Qualität des Lichts, die in ihren Bildern zu finden ist. All ihre Bilder sind nach dem Naturvorbild entstanden. Sie ist eine präzise Beobachterin von Licht, Wasser und Schatten, und versteht es, einen bestimmten Augenblick festzuhalten. Ihr erstes Werkzeug ist der Photoapparat, mit dem sie den Moment einfriert. Da der Photoapparat jedoch ein „ungenügendes Hilfsmittel“ ihrer Arbeit ist (Zitat ihres Malerkollegen Franz Gertsch), setzt sie das damit eingefangene Motiv später malerisch im Atelier um.

 

 

Prof. Udo Scheel, Berlin
Rede zur Ausstellungseröffnung „Stille Wasser sind tief“ im Baumhaus Wismar, 2013 (Auszug)
 
Bei der Scheidung des Wassers von der Erde wurde der Wasseroberfläche die Eigenschaft des Spiegelns zuteil, einer spezifischen Form der Reflexion, die ein Bild dessen zurückwirft, was vor ihr ist, prägnant und glänzend. Spiegelbilder sind Bilder, „Selbstbildnisse“ der Natur und des Weltinventars. (...)
Brigitte Baldauf begegnet dem Naturkunstwerk des Spiegelbildes mit dem klaren Bewusstsein seiner Verwandtschaft zur Fläche der Bild-Leinwand – nachdenklich, analytisch. In der Komplexität der Gesamtanlage ihrer Bildwelt geht es in lang andauernden Malvorgängen auch darum, reale und vorgespiegelte Körperhaftigkeit zu verschmelzen, Grenzen zu überspielen oder neu zu definieren. (...) der anfänglichen Sicherheit des Betrachters, der seine Seh-Erfahrung bestätigt glaubt, folgt die Irritation auf dem Fuße. (...)
Die Einbeziehung von Fotografie in die Bildfindung, in die Form- und Texturbildung entspricht dem Anspruch der Künstlerin auf Präzision, formale Reichhaltigkeit und Differenzierung. Zugleich scheinen ihre unspektakulären und lokalisierbaren „Traum-Tatorte“, die im Nowhereland (mag es auch Niepkuhlen in Krefeld heißen) platzierten, verloren-isolierten Objekte durch die Fotografie eine quasi dokumentarische Beglaubigung zu erfahren. Die durch die akribische Malweise erzeugte Wirklichkeitsnähe wird brüchig, wenn Schatten und Spiegel verloren gehen und die Schwerkraft aufgehoben ist und die gesamte Bildanlage nicht Naturgesetzen, sondern künstlerischen Intentionen folgt.
Sehen wir uns das Bild „Lager II“ von 2009 einmal genauer an. Wald und Spiegelbild passen nicht zusammen, stimmen nicht überein. Durch die Stämme und die Zwischenräume ergibt sich ein vertikal rhythmisiertes Flächenmuster, homogenisiert durch einen einheitlichen Grünklang aus differenzierten, sich wiederholenden Valeurs und Formkürzeln. Werkspuren, kompakte Farbschichtungen, horizontale Wischer erzeugen eine verdichtete geschlossene Bildoberfläche. Schicht um Schicht arbeitet die Malerin den Scheinraum der Spiegelung in die Malhaut ein, holt ihn nach vorne in die Fläche. Ein malerisches Bravourstück – durchgearbeitet in jedem Detail. Die Versatzstücke sind nur im Detail naturgetreu im Gesamtzusammenhang “bildgetreu“ angelegt. Schnitte, Brüche – das Erbteil von Collage und Montage – sind in die Textur einer selbstverständlich erscheinenden Bildeinheit eingewoben.
Waldlandschaften ohne Wegmarkierungen und Horizont wirken anonym. Im farbigen Abglanz haben wir das Leben, im Widerschein die Welt. Das zentral platzierte Objekt scheint zu schweben – Transportbahre, Schlitten, Gestänge, Gestell – Bambus – Rundhölzer. Die mit vertreibender Pinselführung in weichen Hell-Dunkel-Übergängen griffig, plastisch herausgearbeitete Abdeckplane weckt – wie Verhüllung sui generis – unsere Neugier. Alles ist ein wenig unheimlich: Unauffindbarkeit, Beziehungslosigkeit, Endgültigkeit. Der Verlust des Spiegelbildes (E.T.A. Hoffmann „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“) bringt wie der Verlust des Schattens (Peter Schlemihl, Chamisso) eine Macht ins Spiel, die es auf unsere Seele abgesehen hat. Ob deponiertes technisches Gerät, vielleicht eine Maschine – unsere Fantasie wandert in menschenleeren, handlungsfreien, abgelegenen Landschaftsräumen umher –, ins Bildgeviert zurückgekehrt, erscheint in seinem Formzusammenhang alles ganz selbstverständlich, plausibel, ja notwendig. Das Bild ist der Fall.
Disparate Bildelemente gehen in der Bildlogik auf. Die nach Enthüllung, Entdeckung fahndende Unruhe des Betrachters bleibt.
Die in unlokalisierbarem Unterholz, in unaufgeräumtem Dickicht an der Bruchkante des trittunsicheren moorigen Geländes zu brackigen Wasserflächen platzierten, verhüllten, verschnürten, verpackten Objekte beeindrucken und befremden in ihrer zentralen stilllebenhaften Präsenz. Die unbelebt wirkende Natur hinterfängt die Objekte wie ein Prospekt. Das Deplacement, die Darbietung eines verhüllten Objektes, das selbst nicht gezeigt wird, an einen unbekannten, nicht passenden Ort, unterstreicht die Ding-Magie des verhüllten Etwas.


Thomas Janzen, Kunstmuseen Krefeld

Auszug aus dem Katalog „Quer geschnitten! Kunst aus Krefeld heute“ zur Ausstellung im Kaiser Wilhelm Museum,

Krefeld 2009

 
Brigitte Baldaufs Gemälde werden in einer ersten Begegnung fraglos als Landschaftsbilder und Naturdarstellungen wahrgenommen. Im Vordergrund stehen zunächst malerische Fragen, die insbesondere die Herstellung eines mehrschichtigen Tiefenraums durch die Einbeziehung von Wasserspiegelungen betreffen. Tümpellandschaften dienen dabei als Vorbild, wobei Baldauf in der Regel nach Fotos arbeitet. Die Wasseroberfläche versteht die Künstlerin als „Membran“, so auch der Titel einer Serie von 2007, die gleichzeitig als Oberfläche und durchsichtige Haut erlebt wird. Die naturalistische Darstellung erfährt durch eine komplexe Tiefenräumlichkeit starke Irritationsmomente. Der Blick kann den Halt verlieren, wobei die dschungelartige Natur malerisch ohnehin der Abstraktion angenähert erscheint. Der Eindruck des Idyllischen wird angesichts der Beziehungslosigkeit des wiedergegebenen Naturausschnitts zunehmend fragwürdig. In vielen Gemäldeserien untergräbt Baldauf die Glaubwürdigkeit des Naturabbildes, indem sie Motive aus anderen Kontexten in den Bildraum einmontiert, beispielsweise eingepackte Außenbordmotoren. In einem ihrer Gemälde schwebt ein barock geschwungener Kronleuchter vor den Untiefen der Wasserlandschaft. Man möchte meinen, dass die Homogenität des Bildraums endgültig zerstört wird. Andererseits zeigt das Designelement mit seiner neuen Umgebung Gemeinsamkeiten, es weist eine ähnliche Transparenz auf und wird von funkelnden Reflexen des Wassers umspielt. Indem Baldauf distinkte Versatzstücke aus Natur und Kultur zusammenbringt, schafft sie eine widersprüchliche Bildsyntax, in der sich Momente der Nähe und Fremdheit verschränken. Wenn sie in dem Gemälde Gelege, träumend (2008) einen schlafenden Guantanamo-Häftling vor undurchdringlichem Dickicht schweben lässt, steigert sich solche Paradoxie zur Provokation.